Kreative Freiheit oder die Kunst des viralen Marketings? Likes produzieren oder produktiv sein im Atelier? Die kreative Spitze grosser Modehäuser muss sich veränderten Herausforderungen und Erwartungen stellen, denn der Erfolg eines Designers misst sich inzwischen auch an der Zahl seiner Internet-Follower.

&laquo;Happy to renew my commitment with the beautiful house of @louisvuitton #notgoinganywhere&raquo;, verk&uuml;ndet Nicolas Ghesqui&egrave;re am 23. Mai auf Instagram und best&auml;tigt so, dass er weiterhin Creative Director der Damenlinie des Labels bleibt. Am selben Tag macht Louis Vuitton in einer Pressemitteilung die Vertragsverl&auml;ngerung offiziell und setzt so den anhaltenden Ger&uuml;chten um einen Weggang des Designers ein Ende. Ghesqui&egrave;res Bekanntmachung in den sozialen Medien hat eine zweite, etwas subtilere Wirkung, die nicht zu vernachl&auml;ssigen ist: Mit diesem Post mit 46 000 Views liefert Ghesqui&egrave;re den Beweis, dass die Modebranche in der &ouml;ffentlichen Wahrnehmung einen Wandel vollzieht. Sein Beruf findet nicht mehr mit unnahbaren Diven hinter den Kulissen im Elfenbeinturm statt, sondern ist nun eine von allen Seiten beleuchtete T&auml;tigkeit, ausge&uuml;bt von popul&auml;ren Stars, die Tr&auml;ume f&uuml;r ein Massenpublikum produzieren. Und Nicolas Ghesqui&egrave;re entspricht wirklich allen Kriterien einer Celebrity mit gut ge&ouml;lten Selbstvermarktungsmechanismen: regelm&auml;ssige Posts &uuml;ber befreundete Schauspielerinnen, &uuml;ber seine Unterst&uuml;tzung f&uuml;r LGBT-Belange und &uuml;ber seine Privatsph&auml;re, die er t&auml;glich mit seinen 700 000 Followern teilt. Soziales Engagement, kulturelle Zugeh&ouml;rigkeit, die Beziehung zu den Fans &ndash; dieser Mix l&auml;sst 2018 die Konturen zwischen Designer und Promi unscharf werden. Welchen Platz hat da die Kreativit&auml;t? 
 
 
F&uuml;r Virgil Abloh steht nicht mehr ein Kleidungsst&uuml;ck am Ursprung dessen, was eine Marke oder einen Designer zum Star macht. &laquo;Das Produkt ist nur eines von vielen Elementen des heutigen Luxus-Narrativs&raquo;, sagt der Autodidakt, der derzeit die Herrenlinie von Louis Vuitton verantwortet.&nbsp;Bei 2,6 Millionen Followern auf Instagram und dem Kult um seine Marke Off-White sorgen andere Faktoren f&uuml;r seine Online-Beliebtheit. Abloh ist nicht nur f&uuml;r seine Kollaborationen bekannt, etwa mit Ikea, der Kunstgalerie Gagosian oder Jimmy Choo, sondern auch f&uuml;r sein politisches und soziales Gewissen, und so wurde er zum Liebling dieser engagierten, Insta-freundlichen Mode-Epoche. Auch in den Statements zu seiner ersten Kollektion f&uuml;r Vuitton ist von Migration und Multikulturalismus die Rede, das Ganze pr&auml;sentiert auf einem regenbogenfarbenen Catwalk, im Publikum Stars aus der Hip-Hop-Szene: fotogen, prominent, engagiert. Alles passt zusammen.&nbsp; 
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Ghesqui&egrave;re und Abloh verk&ouml;rpern im Moment die &Auml;ra der Design-Superstars, sie sind Galionsfiguren eines systemischen Wandels in der Modewelt, in dem die Kollektionen fast schon zweitrangig sind und die Designer selbst zu Popstars werden. 
 
 
Seine eigene Marke werden&nbsp; 
Gerade werden die Karten neu gemischt, eine neue Generation kreativer K&ouml;pfe k&uuml;ndigt sich an und frischt das Image der traditionellen Modeh&auml;user auf. Eine kurze Zusammenschau: Nachdem Kim Jones dank seiner Kollaboration mit Supreme ein bisschen Sportswear-Vibe in die Herrenlinie von Louis Vuitton gebracht hat, geht er als Chefdesigner zu Dior Homme. Dort folgt er Kris Van Assche nach, der seinerseits ank&uuml;ndigt, dass er zu Berluti wechselt. Riccardo Tisci, ehemals an der Spitze von Givenchy, geht zu Burberry, Hedi Slimane macht sich daran, seine globale Vision bei C&eacute;line zu verwirklichen. Bei Chlo&eacute; ist Natacha Ramsay-Levi seit April 2017 mit ihrem franz&ouml;sisch-intellektuellen Touch am Werk, und bei Givenchy sorgt Clare Waight Keller (fr&uuml;her bei Chlo&eacute;) f&uuml;r Chic mit englischem Flair.&nbsp; 
 
 
Wie haben sie alle es geschafft zu re&uuml;ssieren, wenn doch, um Vanessa Friedman von der &laquo;New York Times&raquo; zu zitieren, eine ganze Generation legend&auml;rer Designer arbeitslos ist? Man denke an Alber Elbaz, fr&uuml;her an der Spitze von Lanvin, Stefano Pilati, vorher bei Yves Saint Laurent und Ermenegildo Zegna, und Marco Zanini, ex Schiaparelli. Was f&uuml;r Tr&uuml;mpfe muss man noch in der Hand haben, um f&uuml;r ein Label profitversprechend auszusehen? Wie schl&auml;gt man eine Br&uuml;cke zwischen der bulimischen, voyeuristischen Onlinewelt und der Art, wie Luxus bisher praktiziert wurde, wenn der Einkauf keinen realen Kontakt mehr erfordert? &laquo;Heutzutage muss ein Designer eine klare Vorstellung von seinem Branding haben. Er muss zu seiner eigenen Marke werden, um erfolgreich zu sein. Seine Kreationen allein sind nicht mehr genug, um sich zu profilieren. Die jetzige Generation hat ein 360&deg;-Verst&auml;ndnis der Markenwerte, die von ihren pers&ouml;nlichen nicht zu trennen sind, und beherrscht diese auf allen Plattformen und Kan&auml;len. Sie alle m&uuml;ssen echte kulturelle Standpunkte und eine Community mitbringen und den Zeitgeist treffen&raquo;, so die Analyse von Sophie Conti, Beraterin der Luxusbranche in New York.&nbsp;

«Heutzutage muss ein Designer eine klare Vorstellung von seinem Branding haben. Er muss zu seiner eigenen Marke werden, um erfolgreich zu sein.» Sophie Conti

Kanye West, Kim Kardashian und Olivier Rousteing.

Riccardo Tisci, Donatella Versace und Naomi Campbell.

Bella Hadid und Naomi Campbell.

Nicolas Ghesquière, umgeben von Doona Bae, Jennifer Connelly, Michelle Williams, Emma Stone, Riley Keough, Alicia Vikander, Laura Harrie und Ruth Negga.

Marc Jacobs und Clare Waight Keller.

Alessandro Michele, Lana Del Rey und Jared Leto an der letzten Met-Gala in New York.

Kim Jones mit Robert Pattinson 4 und A$AP Rocky an seinem ersten Defilee für Dior Homme.

Beyoncé und Olivier Rousteing.

Lotta Volkova, Loïk Gomez und Demna Gvasalia in London.

Virgil Abloh und Takashi Murakami.

Natacha Ramsay-Levi.

Kylie Jenner, Kim Kardashian und Kanye West in der Front Row an der ersten Modenschau von Virgil Abloh für Louis Vuitton Homme im Juni.

Strategien aus der Streetwear 
Wenn man sich die designierten Creative Directors so ansieht, wird eine Strategie erkennbar, die genau auf das ver&auml;nderte Bed&uuml;rfnisgef&uuml;ge der globalen Kundschaft reagiert. Riccardo Tisci etwa setzte gleich zu Anfang den Ton, indem er einen authentischen Tribe schuf, der &uuml;ber die PR noch hinausging. Er lud Vivienne Westwood ein, mit ihm zusammen eine Kapselkollektion f&uuml;r Burberry zu entwerfen, wodurch er quasi eine emotionale Beziehung der Generationen und Ikonen andeutete. Diese Strategie hatte er bereits zuvor f&uuml;r eine Givenchy-Kampagne genutzt, in der Donatella Versace Model spielen durfte. Tisci besitzt ausserdem ein sehr feines Gesp&uuml;r f&uuml;r das Konsumverhalten der Millennials und f&uuml;r die aus der Streetwear bekannte Praxis des &laquo;Drop&raquo;: Zus&auml;tzlich zu den saisonalen Kollektionen werden mitten im Jahr neue St&uuml;cke und limitierte Serien angek&uuml;ndigt, um Nachfrage, Verknappung und Hype zu generieren, eine Technik, die vor allem Supreme anwendet. 
 
 
Bei Balenciaga &ndash; laut &laquo;Business of Fashion&raquo; das am schnellsten expandierende Label der Kering-Gruppe &ndash; ist der Erfolg eher darauf zur&uuml;ckzuf&uuml;hren, dass in gekonnter Weise Buzz erzeugt wird, und weniger auf die Kleider selbst, deren Schnitte sehr an Margiela erinnern. Der wahnsinnige Erfolg der rosa Plateau-Crocs verr&auml;t eine Kundschaft mit typischem Internet-Humor (&laquo;lol&raquo;), die alle Grenzen zwischen Chic und Kitsch, Luxus und Street infrage stellt. Ein weiterer Erfolg von Kering: Alessandro Michele setzt seine &auml;sthetische Revolution bei Gucci fort. 
 
 
Auch Fendi unter der kreativen Leitung von Karl Lagerfeld entschloss sich, f&uuml;r die neueste Kampagne drei Gesichter zu w&auml;hlen, die von der italienischen Modekultur weit entfernt sind: Kim Kardashian, ihre Mutter Kris Jenner und ihre Tochter North West. Was kam dabei heraus? Mehrere hunderttausend Likes und ein wieder zeitgem&auml;sses, sympathisches, popul&auml;res Image. 
 
 
In anderen F&auml;llen besteht die L&ouml;sung in einem Allround Creative Director anstatt einem reinen Designer, wodurch das Modehaus wie auch der Designer selbst ein Rebranding erfahren. Als Raf Simons bei Calvin Klein die kreative Leitung aller Linien &uuml;bernahm, Jeans inbegriffen, &uuml;bertrug er sein Verst&auml;ndnis von Couture auf die Denim-Entw&uuml;rfe. F&uuml;r ihn wirkte es im Gegenzug verj&uuml;ngend und &ouml;ffnete ihm einen neuen Markt. Und nicht zu vergessen Hedi Slimane, der nach seinem Einstieg bei C&eacute;line erkl&auml;rte, er wolle eine Herrenlinie und eine Couture-Kollektion lancieren und das Gesamtimage wieder in die H&auml;nde nehmen, einschliesslich Parf&uuml;ms und Kosmetik. C&eacute;line ist eines der radikalsten Beispiele f&uuml;r ein von A bis Z auf Linie gebrachtes Markenimage. 
 
 
Die Instagram Klauseln&nbsp; 
Auch wenn die genauen Summen vertraulich sind, bewegen sich die bestdotierten Vertr&auml;ge den Quellen zufolge zwischen etwa 8 und 15 Millionen Euro j&auml;hrlich. Die Zahlen sind sogar noch h&ouml;her, wenn Boni und Umsatzprozente hinzukommen. Diese Entwicklung l&auml;sst auf einiges schliessen: Teil dieser Deals ist oft eine &laquo;Instagram-Klausel&raquo; mit der Verpflichtung, sich selbst, das Markenimage sowie PR und Celebritys im rechten Licht zu zeigen. So wird der Designer eher wie ein Talent oder Influencer behandelt, nicht mehr nur als Kreativer &ndash; auch das ein Indiz daf&uuml;r, dass er neuerdings irgendwo zwischen Modemacher und Promi steht. 
 
 
&laquo;In heutiger Zeit ist die Content-Erstellung entscheidend geworden. Braucht man da noch einen Creative Director? Was wird denn eigentlich verlangt?&raquo;, fragt sich Vanessa Friedman angesichts der Tatsache, dass die kreative Leitung zunehmend an Leute vergeben wird, deren Bekanntheit ihre Qualifikationen bei Weitem &uuml;bersteigt. Ein paar Beispiele dieses Trends: Isabella Burley, Chefredaktorin des Magazins &laquo;Dazed &amp; Confused&raquo;, heute Editor in Residence von Helmut Lang. Oder die Karriere von Justin O&rsquo;Shea, dem Gr&uuml;nder und Chefeink&auml;ufer des Online-Stores MyTheresa. com, der jetzt bei Brioni ist. Nicht zu vergessen die Labels von Rihanna, Victoria Beckham und den Olsen-Zwillingen. 
 
 
Die angels&auml;chsische Presse sieht uns bereits in einer &Auml;ra des &laquo;fashion fandom&raquo;, egal ob es sich um die #BalmainArmy von Olivier Rousteing, die Gosha-Gang von Gosha Rubchinskiy oder die Supreme-Girls handelt. Designer und Labels seien heute einfach Stars mit Fans und l&ouml;sten allein schon durch ihre Existenz Begeisterung und Hysterie aus wie Hollywoodschauspieler in den F&uuml;nfzigern oder Rockstars in den Sechzigern. 
 
 
&laquo;Luxus ist vor allem eine Sache der Erfahrung, der Spannung, des Verlangens. Wo steht da das Produkt? Wenn es nicht mehr von Zugeh&ouml;rigkeit und Begehrlichkeit handelt, dann ist es nicht mehr relevant&raquo;, so Sophie Conti. Und genau das erz&auml;hlt diese umjubelte, st&auml;ndig aufmerksam beobachtete Generation &uuml;ber die Instagram-Welt, in der sie zuhause ist.&nbsp;

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Image Credits: 
PASCAL LE SEGRETAIN/GETTY IMAGES 
KEVIN MAZUR/MG18/GETTY IMAGES 
APERTURE 3.6 
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INSTAGRAM 
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ZVG&nbsp;

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