Der Rebell von Saint Laurent: Interview mit Anthony Vaccarello
Eine Modeschau wird nicht umsonst Modeschau genannt: es gibt etwas zu zeigen. Aber diejenigen, die dachten, dass es nur darum geht, eine neue Sammlung vorzustellen, liegen falsch. Eine Modeschau ist die perfekte Gelegenheit für eine Marke, sich zu inszenieren. Es ist die Chance, sein Image auszubauen und eine starke Botschaft zu vermitteln, die sofort in allen Teilen der Welt ankommt und mit einer Synchronisation vergleichbar ist, die der Übertragung der Weltmeisterschaft entspricht.
Im Juni letzten Jahres präsentierte Anthony Vaccarello seine erste Männerkollektion für Saint Laurent in New York, kurz vor Beginn der Fashion Week in Europa. Als ob er das Gras zu den Füssen der anderen Modehäuser mähen, sich aber auch vom Modestablishment trennen wollte, mit Paris und Mailand als den traditionellen Hauptstädten. Darum wählte der idiosynkratische Designer Liberty Island als Hintergrund mit einem Laufsteg am Fusse der Freiheitsstatue. Wenn das keine eindrucksvolles Signal ist.
Die Show war eine Krönung der letzten zwei Jahre, in denen Vaccarello als Creative Director von Saint Laurent die Verkaufszahlen so gesteigert hat, dass die Jahreszahlen jetzt um zwanzig Prozent gestiegen sind. Die Ankündigung dieser speziellen Männer-Show, Vaccarellos Debüt in der Herren-Modeszene, hätte einfachr nicht sein können: Auf Schwarz-Weiss-Plakaten wurde nur das Datum gelesen: "Saint Laurent New York 6. Juni 2018".
Es ist nicht verwunderlich, dass Vaccarello diese Stadt als Kulisse für seine Show wählte. Amerika liegt im weltweiten Fokus und die Kollektion entpuppte sich als eine Ode an das Land, durchsetzt mit Stilbezügen zum urbanen "Midnight Cowboy". Während viele dünne Jeans und Mäntel mit geraden und mit breiten Schultern zu sehen waren, zeigte Vacarello auch das goldene Zeitalter des Modehauses mit leichten Tunikas aus Musselin, reichen Stickereien, Tierdrucken und einer Fülle an Accessoires wie Gürtel, Schmuck und Hüten. Kurz gesagt, die perfekte Mischung aus Prahlerei und einer coolen "Attitude". Eines ist klar: Saint Laurent ist auf der Höhe. Darüber redeten wir mit dem Designer persönlich.
L'OFFICIEL: Ihre erste Männerkollektion wurde in New York präsentiert. War dies eine strategische Entscheidung, die etwas darüber aussagt, wie Sie sich auf dem Luxusmarkt für Männer positionieren möchten?
Anthony Vaccarello: Ich habe die Energie dieser Stadt schon immer geliebt. Ich bin sehr oft dort und so wollte ich die Saint Laurent Männerkollektion in diesem dynamischen Umfeld starten; positiv und auf die Zukunft ausgerichtet. Also wurde die Wahl nicht durch Strategie und mehr durch Symbolik motiviert.
Aufgrund des gewählten Termins, vor den Herren Fashion Weeks in Europa, scheint es, als wollten Sie die Aufmerksamkeit alleine auf sich lenken. War das die Idee?
Ich wollte die Männerkollektion von Saint Laurent mit einem echten Ereignis verbinden und ihm die Aufmerksamkeit schenken, die sie verdiente. Ich hatte den Luxus, mir Zeit dafür zu nehmen und die Zeit war reif: Es war die richtige Zeit. Es ist interessant, eigene Codes zu erstellen und nicht unbedingt dem bestehenden Modekalender zu entsprechen, der, ehrlich gesagt, nicht mehr viel bedeutet.
Seit Ihrem Eintritt im französischen Modehaus im April 2016 prägen Sie Saint Laurent nun bereits zwei Jahre lang. War dies so einfach wie es scheint?
Nichts ist einfach, aber es sollte so aussehen! Saint Laurent ist das offensichtlichste und gleichzeitig das komplizierteste Modehaus. Es ist diese Dualität, diese Spannung, die die Marke kennzeichnet.
Sie hatten vorher noch nie für Männer entworfen. Wie war Ihre kreative Herangehensweise an diese Kollektion?
Ich habe mich der Männerkollektion wie meinen Frauenkollektionen genähert. Ausserdem können die Gegenstände des Männer- und Frauenwohlbefindens auch ausgetauscht werden. Ich liebe diese Freiheit. Freiheit verkörpert für mich Modernität.